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AM TAG ALS WOLFGANG BORCHERT STARB | ||||||
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‘ Die Reise nach Basel ist vielleicht nicht die letzte. Einmal Europa vom Westen nach Osten durchfahren und einmal Europa vom Norden nach Südern durchfahren. So eine Gunst Und wie! Du Glückspilz! “ q5s14sy Der Gedanke überraschte Wolfgang im Halbschlaf Ironie hatte er immer genug gehabt. Der Zug schlich durch Stadte und Bahnhöfe , wo die Krallenspuren des Kriegs noch erkennbar waren. Er keuchte, zischte, fuhr hartnackig oder machte halt; sinnlos halt. Es war Herbst. Hier im Söden war noch alles grön. Wiesen, Walder. Ab und zu knorrige Aste drangen durch das offene Fenster der Abteilung. Wahrend der Fahrt machte er oft das Fenster auf und atmete die wohltuende Luft ein. Hamburg lag fern und neblich. Die Freunde übten das Theaterstöck “Draußen vor der Tür “. Die Rollen verteilte er selbst. Als Hörspiel erlebte es einen Erfolg schon im Februar. In einigen Tagen schrieb er das Stück ; die Erlebnisse eines Heimkehrers, der hinkend nach Hause kommt und verblüfft ein anderes, widriges Deutschland findet. Stalingrad lag weit ferner und nebliger ; im Gedachtnis aber frisch, zitternfrisch. Die Feinde waren tot, der Schnee von einst verschwunden , alles in die Erde verschwun den. Die Trümmer , die Schanzen, die weißen Knochen auf den Feldern, die Ratten, aber zitternfrisch. Ein letzter, kraftiger Feind blieb nah , wie ein Schatten; die Gelbsucht. Allein konnte er sie nicht in die Erde jagen. Deshalb war er jetzt unterwegs nach Basel. Dort, erfahrene Arzte würden ihn retten können. Jung und alt auf einmal! Wunderlich, aber doch! Krieger und Mrnschenfreund auf einmal! Wunderlich aber doch! Zum Tode verurteilt und begnadigt auf einmal! Wunderlich aber doch! Und die Krankheit, die im Kerker ausgebrochene Krankheit, zwang ihn anders zu handeln , als an sein Werk zu denken. “Die Gelbsucht nimmt die Krafte, macht müde, nagt an der Hoffnung… das Schlimmste… Ach! Wieder ein Bahnhof!Der Zug hat keine Eile., keine menschliche Aufregung. Er folgt stundenweise einem Fahrplan nach. Überall wo ich schaue, sind die Reste des Kriegs noch lebendig… wie in einem Totentanz. Die Walder gewinnen rascher ihre Kraft, die Verjungung, wieder.Die Menschen haben mit ihren Stadten voll zu tun… und das dauert.” Er schlummerte als der Zug auf den Basler Bahnhof bremste. Der Angstschweiß benaßte. seine Stirne . In den verrückten Jahren sah er Feldzugbette, Kerkerpritschen, Lazarettzüge, aber niemals ein Bett im Krankenhaus… - 2 - Jetzt lag er in einem weißen Bett, in weißen Lacken , in einem
weißen Salon. Durch den dünnen Vorhang war die grüne Landschaft
zu erkennen. Im Ohr lauteten ihm die Stimme seiner Freunde: Als Soldat war alles anders. Der mutige Soldat steigt in den Zug, juppheidi, ein oder aus, wechselt auf Befehl die Richtung, durchquert Europa,juppheida, fühlt aber kein Zögern, keine Sehnsucht.Angst,ja! Wenn die Kannonenorgel verstummt.Er friert und schlummert kurz wie die Hasen, oder noch schlimmer, schlaflos schreibt er die Briefe seines Verhangnis. “Drang nach Osten! Jucheee! “ Hatte ein Brief anfangen können. “Propaganda! Lügen! Absurder Feldzug für Mann und Pferd! Tierisches Wetter! Der Frost aller Fröste zerbricht die Erde.! Aber, wer hat uns alle gelogen? Wer hat uns Trugbilder serviert? Dieser allherrschender Schnee ist die Antwort. Der weiße Tod ! Angenommen, dass die Zensoren etwas Ahnliches unter die Augen bekamen. Der Junge wurde auf einem Hieb von einem unwichtigen Soldat zu einem Großfeind der Regime. Ein Narrenstaat der so pervers und scheinheilig war , sich ein Heldenstaat zu glauben. Seine mißtrauischen Blicke duldeten keinen Zweifel, keinen Trotz. Der Staat reagierte immer in gleicher Art, mit Gewalt und Terror. Er taumelte wie ein Schlafwandler, aber war dessen nicht bewußt; genau wie ein Schlafwandler. Eine ruhige, wahre Erlösung fand der junge Artist niemals. In jener Nu wollte er nur bei sich bleiben, nur begreifen , Gefühle in Ordnung bringen. Vor einem Tag überraschte er den Arzt, als er die Achseln zuckte. Doch, das ließ ihn nicht einschüchtern Er war ein Selbstloser Immer liebte er andere Wesen ; Menschen, Tiere. Die auf ihn lauernde Gefahr vernahm er nicht. Seine Erlebnisse, seine Wahrheit waren ihm weit wichtiger. Zeit brauchte er, nur Zeit, deshalb war er hier .. nach der Suche des Lebensbrunnens. Dann wollte er gegen Terror und Mord kampfen. Damit nicht mehr auf der Welt geschehe, alles was er erlebte… nie mehr den Schwefelengel in der Luft schweben sehen. Er hatte eine Menge zu tun, trotz der Schwache, trotz der Fieber. Seine Menschenliebe darf sich nicht in Vergessenheit senken, oder sich an die Mauern des Unsinns stießen. Seine ehrliche Neigung zu anderen Herzen muss eine Brücke bauen, sein Schaffen und sein Sieg muss den Menschen menschlicher machen. Seine Liebe war die eines Armen und Reichen zugleich. “ Wer spielt die Rolle Elbes? Wer sagt zu Beckmann? < Du hast wohl gedacht, ich ware ein romantisches, junges Madchen mit blaßgrünnen Taint? Typ Ophelia mit Wasserrosen im aufgelösten Haar ? Du hast am Ende gedacht, du könntest in meinen süßduftenden Lilienarmen die Ewigkeit verbringen. Nee, mein Sohn, das war ein Irrtum von dir. Ich bin weder romantisch, noch süßduftend . Ein anstandiger Fluß stinkt. Jawohl. Nach Öl und Fisch. Was willst du hier?” Der Kranke meinte: “ Es muss die Mutter eines im Krieg getöteten Sohnes für diese Rolle geeignet sein. Eine Frau in deren Stimme das Leiden ohne Willen erkennbar ist. “ Eine wohltuende Hitze überschwemmte Wolfgang. Ein Schimmer der Hoffnung. Morgen wird er wieder schreiben; und sogar in der Früh. Ein Leben lang brauchte er alles zu schildern, was er auf den Wegen Europas gesehen hat. Wie die Macht zum Mord wird und wie der Mord zum Macht wird. Von nun an soll keine Seele mehr draußen vor der Tür stehen ! Keine Seele darf seine absurde Verurteilung hinter geschlossenen Türen erwarten! Egal ob das vor Stalingrad oder in Moabit geschiet. “ Auf dem Braun der Ackerblume weht hellgrün ein Gras , Eine blaue Blume Lindert allen Haaß “ Es war das Lamento eines in sich zusammengefallenen Mann. Er trug auch den frostigen Feldzug durch. Er war dabei als 57 Kammeraden wahrend der Schlacht neben Woronesch begraben worden waren. Die Erde war wie Stein. Überall nur Schnee, Hunger und Sturm. Es reichte eimen die Vernunft zu verstreuen. Nur das Lallen war vernehmbar. Der Mann war nicht zu sehen Es ist November. Durch die Fenster des Salons sieht man die bergische Landschaft. Es ist grün, dunkelgrün und regt sich nicht. Der Wald hat besser als der Mensch das Warten gelernt. Deshalb lebt er immer und ewig… immer und ewig.. Das ist ein Refrain, eine Trost vom Menschen erfunden, eine Arznei , eine Wiege… Dem Fiebernden schien es einmal aus dem Urwald auf dem Abhang Jürgen mit seinem vierjahrigen Bruder, das alte Ehepaar mit einem Korb voll Brot , den Schockierten mit der Küchenuhr am Hals. kommen ; direkt zum Bett kommen, als ob es keine Wande da waren! Der Kranke wahr leise von der Fieber los. Seine Stirne war kalt, kalt wie nie. Er schien sogar nicht mehr zu atmen . So tief eingeschlafen schien er zu sein ! In dem weißen Bett regte sich nicht, für immer und ewig nicht… Die Vorbeigehenden lasen vor: Wir sind die Generation ohne Bindung und ohne Tiefe. Unsere Tiefe ist der Abgrund. Wir sind die Generation ohne Glück, ohne Heimat und ohne Abschied. Unsere Sohne ist schmal, unsere Liebe grausam und unsere Jugend ohne Jugend. Wir sind die Generation ohne Abschied…” Wolfgang war einer , der nicht mehr zurück nach Deutschland kam. Als spates Opfer des Kriegs blieb er für immer in seinem weißen Bettzeug. Es war der 20. November 1947. Nur zwei knappe Jahre blieben ihm seine Schimmerwelt aufzubauen. Seine knappe Freiheit zu genießen. Am 21. November fand die Uraufführung seines Theaterstückes in Hamburger Kammerspielern statt. Der Erfolg war groß. Vielleicht war auch seine Seele dabei und erlebte seine erste wahre Freude. Eine neue Generation voll von Bindungen , ohne Gott, ohne Glück und ohne Abschied entstand. Irgendwo, auf den Wegen Europas, bereitete sich eine neue Generation juppheida zu schreien und zur sinnlosen Arbeit zu marschieren, zu einer Arbeit, die niemanden befreite. Es war eine Generation im Osteuropa. Der nach dem Krieg entstandene Staat war auch narr: lügnerisch und narr. Diesmal im Osteuropa. Eine andere Generation musste die Launen eines trügerischen Staat erdulden. Eine neue Generation musste ihre Freiheit von einem Narrenstaat erzwingen. Es war eine Qual, es war ein Kampf. Am Tage als Wolfgang Borchert starb , irgendwo in Osteuropa, in einer Donaustadt erblickte ich die Welt., die graue, grausame, misere Welt ! . |
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